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Alfred de Grazia:
(Herausgeber)


Die Velikovsky Affäre


Livio C. Stecchini

Astronomische Theorie und historische Daten

Jupiter: Ach, Venus, Venus! Kannst du wenigstens ein einziges Mal über unsere Lage nachdenken und über die deine ganz besonders? Glaubst du, daß es wahr ist, was die Menschen über uns denken, daß der von uns, der alt ist, immer alt ist, und daß der, der jung ist, immer jung ist, daß der, der ein Knabe ist, immer ein Knabe ist, daß wir also ewig bleiben, was wir waren, als wir in den Himmel kamen; daß genauso wie unsere Bildnisse auf Erden stets gleichbleiben, sich hier im Himmel gleichermaßen unser lebendiges Wesen auch nicht ändert?

Giordano Bruno: Spaccio della bestia trionfante. 1. Dialog, 1. Teil

Im Septemberheft 1963 des American Behavioral Scientist berührte mein Aufsatz »Am Himmel tut sich was« die Kontroverse nur am Rande. Der Aufsatz sollte sich auf den historischen Hintergrund beschränken. Der wesentliche Inhalt meiner Ausführungen war, daß die Lehre von der ewigen Stabilität des Sonnensystems seit der Erschaffung vor unvordenklichen Zeiten ein theologisches Dogma sei, für das niemals naturwissenschaftliche Beweise erbracht worden sind. Daher muß man zu dem Schluß kommen, daß die »Behauptung, daß das Sonnensystem keine Geschichte habe, mit den historischen Beweisen steht und fällt«. Doch habe ich mit meinem Artikel den Finger auf eine Wunde gelegt, weil ich mich darin mit einer Kontroverse über das Wesen der Wissenschaft befaßte, die seit mehr als 2000 Jahren andauert.

Plato erklärt in seinem letzten Dialog Die Gesetze, die staatsgefährdendsten Doktrinäre seien diejenigen, die die ewige Gesetzmäßigkeit der Himmelskörper verneinen. Nach seiner Meinung kann es eine geistige, politische oder moralische Ordnung nur geben, wenn der Glaube erhalten bleibt, daß »der Umlauf der Sterne« (dieser Ausdruck umfaßt im Griechischen alle Himmelskörper) »stets unverrückbar derselbe bleibt und daß sie also bereits unermeßliche Zeiten hindurch unaufhörlich das ausführen, was sie von Anbeginn beschlossen haben, und nicht in ihren Beschlüssen hin und her wanken und daher bald dies, bald jenes ausführen, noch in ihrem Lauf schwanken und ihre Bahn verlassen« (Anhang zu den Gesetzen 982 C). Obwohl Plato hier seinen allgemeinen Grundsatz ausspricht, läßt seine Wortwahl darauf schließen, daß er ganz konkret die Behauptung - genauso wie Aristoteles (Meteorologie 1343 A) - zu widerlegen sucht, aus einem Planeten könne ein Komet werden oder aus einem Kometen ein Planet.

Von dieser Auffassung von Astronomie her gibt es für Plato zwei Betrachtungsweisen der Naturwissenschaften, eine, die vom Noumenon, die andere, die vom Phänomenon bestimmt ist. Nach der ersten ist die physikalische Ordnung die Offenbarung eines ordnenden Geistes, eines Nous; er faßt sie so zusammen (903 C): »Der Herrscher, der für das Ganze sorgt, hat alles zur Wohlfahrt und zur Vollkommenheit des Ganzen angeordnet.« Der wesentliche Beweis dafür ist das System der Himmelsbahnen.

Die entgegengesetzte Vorstellung, die Demokrit mit seiner Theorie der Kollision der Atome und Himmelskörper vertritt, faßt Plato wie folgt zusammen (889 B):

Feuer, Wasser, Erde und Luft, sagen sie, entstehen insgesamt durch die Natur und den Zufall, keines der genannten Dinge durch Kunst. Auch die weiteren, späteren Weltkörper, als da sind Erde, Sonne, Mond und Sterne, seien durch obige, vollständig unbeseelte Elemente entstanden . . . Auf diese Weise und demgemäß sei nun der ganze Himmel geworden und alles, was am Himmel ist, auch das ganze Tier- und Pflanzenreich, indem auch die verschiedenen Jahreszeiten daraus entstanden sind. Und all das geschah nicht durch einen denkenden Geist (sagen sie), oder durch irgendeinen Gott (sagen sie), ebensowenig durch Kunst, sondern (wie gesagt) durch Natur und Zufall.

Für diejenigen, die dieser Auffassung von Naturwissenschaft anhängen, empfiehlt Plato (909 A), man solle sie fünf Jahre lang in eine Besserungsanstalt stecken, sie dort einer Gehirnwäsche unterziehen und, wenn sie sich innerhalb dieser Zeit nicht eines Besseren besonnen haben, solle man sie umbringen.

Dieser Empfehlung erinnerte man sich, denn tatsächlich war Giordano Bruno sieben Jahre lang einer solchen Behandlung ausgesetzt. Als man erkannte, daß er trotz wiederholter Folterungen sich nicht einmal zu einem Teilwiderruf bereit fand, wurde er schließlich getötet. Man darf nicht vergessen, daß Bruno in dem berühmten Abschnitt (De immenso VI, 19), in dem er seine Kosmologie unter dem Motto veritas temporis filia - Galilei hat sich später dieses Motto zu eigen gemacht - sich auf diese Passage bei Aristoteles über Kometen bezieht und sich auf die Seite seiner Gegner stellt. In der Schrift mit dem Titel Spaccio della bestia trionfante (er bedeutet »die Vertreibung der triumphierenden Bestie«, d. h. der platonischen und aristotelischen Kosmologie) legt Bruno eine Deutung antiker Astromythologie vor, ähnlich der, die Velikovsky vertritt.

Die Reaktion auf die Veröffentlichung von Velikovskys Büchern beweist, daß es heute noch Leute gibt, die Platos Ansicht teilen. Der Fall Gordon Atwater, der fristlos aus seiner Stellung als Direktor der astronomischen Abteilung des American Museum of Natural History entlassen wurde und der seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, zeigt deutlich, daß die Vertreter des perfekten Sonnensystems in der Anwendung repressiver Mittel so weit gingen, wie sie irgend konnten. Es fehlte ihnen nur noch der Arm der weltlichen Gerichtsbarkeit.

Animistisches Denken wird es bei den Menschen immer geben, und deshalb wird der Kampf zur Verteidigung phänomenologischer Denkweise nie enden. Das wird deutlich an einem Brief, den Eugene Rabinovitch, der Herausgeber des Bulletin of Atomic Scientists, am 9. September 1964 an Professor H. H. Hess schrieb. In diesem Brief versuchte er, die Angriffe seiner Zeitschrift auf die Mitarbeiter des American Behavioral Scientist zu rechtfertigen. Er verurteilt Velikovsky, aber gleichzeitig bekennt er mit Stolz, wie andere Naturwissenschaftler seines Klüngels, keines seiner Bücher gelesen zu haben, und qualifiziert die, die für eine offene Diskussion eintreten, als »Behavioristen« ab. Die Tatsache, daß Rabinovitch für sich in Anspruch nimmt, er allein könne den Begriff Wissenschaft richtig definieren, und daß er den Ausdruck »Behaviorist« als Schimpfwort gebraucht; läßt deutlich erkennen, welche Art von Wissenschaft er vertritt.

Der Behaviorismus ist eine Bewegung, die die naturwissenschaftliche Methode Galileis, die phänomenologische, auf das Gebiet der Sozialwissenschaft übertragen will, auf ein Fachgebiet, in dem dogmatisches, theologisches, metaphysisches und rhetorisches Denken grassieren. Rabinovitch greift gegen die Behavioristen zum argumentum ad hominem, indem er ihnen Bosheit und undurchsichtige Hintergedanken unterstellt. Es ist eine Abwandlung des alten platonischen Vorwurfs, der heutzutage selbst von Sozialwissenschaftlern wiederholt wird, der Behaviorismus zerstöre die notwendige menschliche Gewißheit und untergrabe moralische Werte. Man hätte von Rabinovitch, mindestens aus rhetorischen Gründen, als Antwort erwarten können, er habe die Argumente seiner Gegner durchdacht, könne sich ihnen aber aus verschiedenen Gründen nicht anschließen. Er fühlte sich zu der Feststellung bemüßigt, sein negatives Urteil beruhe auf einer Verteidigung höherer Werte und nicht auf einer Prüfung des Beweismaterials. Die Alternative zu dieser mittelalterlichen Scholastik wäre die phänomenologische Methode gewesen.

Die Herausgeber des American Behavioral Scientist wußten ganz genau, daß sie sich den Zorn des etablierten akademischen Machtapparats zuzogen, wenn sie sich kritisch mit der Einstellung einiger Wissenschaftler gegenüber Velikovskys Hypothesen auseinandersetzten. Aber sie waren sich nicht recht klar darüber, ob es ihren generellen Zielen wissenschaftlicher Aufklärung dienlich sei und ob sich die Mühe überhaupt lohne, wenn sie diese Frage aufgriffen. Das Ergebnis beweist, daß ihr Entschluß, das Sonderheft herauszubringen, richtig war. Sie trafen damit den Gegner an einer empfindlichen Stelle.






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