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Alfred de Grazia:
(Herausgeber)


Die Velikovsky Affäre


Vorwort zur zweiten Auflage:



Wir widmen dieses Buch all jenen, die beunruhigt sind über das Verhalten der Wissenschaftler und über die Entwicklung der Wissenschaft. Es befaßt sich besonders mit den Freiheiten, die die Wissenschaftler einander einräumen oder auch vorenthalten. Das Buch ist auch für Leute gedacht, die an neuen Theorien der Kosmogonie interessiert sind - der Entstehung des Himmels, der Erde und der Menschheit, so wie wir sie sehen. Es ist schließlich ein Buch für Leute, die von Auseinandersetzungen fasziniert sind, in diesem Fall von einem Kampf zwischen einigen der gebildetsten, hochstehendsten und zivilisiertesten Persönlichkeiten unserer Zeit.

Diese Zeilen wurden einige Wochen nach dem Erscheinen eines sorgfältig vorbereiteten Buches geschrieben, das sich mit dem wachsenden Ansehen Immanuel Velikovskys in gelehrten Kreisen kritisch auseinandersetzt [1]. Dem Angriff folgte prompt ein vernichtender Gegenschlag in einem Sonderheft der Zeitschrift Kronos. [2] Was sich seit dem Erscheinen dieses Bandes getan hat, entspricht mehr der Art von Kriegsberichterstattern als der von Wissenschaftlern in ihren Elfenbeintürmen.

Der Philosoph und Psychologe William James schlug einmal Sport als Ersatz für den Krieg vor; er hätte ebensogut Natur- und Geisteswissenschaften dafür hernehmen können. Auch wissenschaftliche Schlachten haben ihre Armeen, Regeln, Taktik, unerwarteten Wendungen, gezügelten und ungezügelten Leidenschaften, Niederlagen, Rückzüge und Verlustlisten. Alle Gründe, die zu einem Krieg führen können, sind auch hier vorhanden. In der gegenwärtigen Kontroverse müssen die Streiter zwangsläufig Bilder einer längst vergangenen Zeit, als die Welt von ungeheuren Katastrophen zerstört wurde, in den Kampf hineintragen, ganz egal, ob sie diese Bilder von sich weisen oder nicht.

Anders als im Sport sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Schlachten genauso wichtig wie die Ergebnisse wirklicher Kriege, wenn nicht sogar noch wichtiger. Bei der Kontroverse über die Velikovskyschen Ideen geht es nicht nur um das von der Wissenschaft angewandte System, sich zu verändern - was im wesentlichen das Thema dieses Buches ist -, sondern auch um das reale Änderungsmodell, das die Wissenschaft der Zukunft verwenden soll - ob es nun hauptsächlich als revolutionär und katastrophisch oder als evolutionär und uniform verstanden wird.

Die Kontroverse hat bisher viele erstaunliche Aspekte gehabt. Einer davon ist die große Anteilnahme der Öffentlichkeit. Und sie wächst noch immer. Velikovsky ist es gelungen, zu den Leuten in einer verblüffenden und beispiellosen Art über Mythologie, Archäologie, Astronomie und Geologie zu sprechen, und diesen Fachgebieten dabei gerecht zu werden. Sokrates, Aristoteles, Galilei, Freud und Einstein - um nur einige einer breiten Masse ebenfalls bekannte Denker zu nennen - waren nicht prominent in dem hier gebrauchten Sinn. Sein Publikum - eine artige, gebildete, wohlmeinende Masse mit den verschiedensten Interessen - hat Velikovsky bei jeder nur möglichen Gelegenheit unterstützt. Daß er Ausländer mit russischem Akzent war, Psychiater, stolzer Jude, daß er von einigen der geachtetsten Wissenschaftler Amerikas und Großbritanniens verurteilt wurde, daß er unbeugsam war, was seine Person und seine Hingabe an die Wissenschaft anbelangte, und daß er beharrlich jegliche Unterstützung aus demagogischen und religiösen Kreisen ablehnte: Diese Tatsachen störten kaum die wohlwollende Aufnahme, die er bei einer breiten Öffentlichkeit fand.

Es besteht kein Zweifel, er ist eine charismatische Gestalt: Auf einem kritischen wissenschaftlichen Symposion 1974 in San Francisco wohnten 1400 Leute seinem Vortrag bei und spendeten begeistert Beifall. Aber das Wort »Charisma« ist ein bißchen hochgestochen; es bleibt die Frage nach dem Warum. Obwohl ich mir die Antwort für eine spätere Gelegenheit aufheben muß, möchte ich hier doch behaupten, daß seine Gedanken schon immer all die berechtigten Sorgen der Gebildeten um das gegenwärtige »Wissen« verkörpert haben, ganz gleich, ob es sich dabei um ihr eigenes Wissen handelt oder um das ihrer wissenschaftlichen Lehrer.

Ich lebe seit 15 Jahren mit der »Velikovsky-Affäre«. Oft hat man mich gefragt, wie ich hineingeraten bin. Manchmal kommt die Frage aus dem Kollegenkreis, und sie wundern sich genauso wie ich, wie eine Million, vielleicht zwei Millionen ernsthafter Leser finden können, daß ein Buch wie Welten im Zusammenstoß ihnen etwas zu sagen hat, während doch viele Natur- und Geisteswissenschaftler sich nicht damit auseinandersetzen wollen, sich verärgert davon abwenden und gereizt die ganze Gruppe der zustimmenden Leser den Reihen der Erweckten zuordnen, denen Gottes Wort geoffenbart worden ist.

Aber es gibt wenig Heroisches, Charismatisches, Offenbarendes oder auch Außergewöhnliches darüber zu erzählen, wie ich dazu kam. 1950 als Welten im Zusammenstoß erschien, war für mich ein arbeitsreiches Jahr; ich war noch verhältnismäßig jung, hatte kleine Kinder, einen neuen Lehrstuhl und mehr als nur oberflächlich mit psychologischen Operationen im Koreakrieg zu tun, der damals tobte. Deshalb nahm ich den Skandal um die Unterdrückung und den Erfolg des Buchs nur sehr am Rande zur Kenntnis.

1962 jedoch, als ich Herausgeber der Zeitschrift American Behavioral Scientist war, sprach Dr. Livio Stecchini, ein Wissenschaftshistoriker, der ebenso wie ich in Princeton lebte, mehr als einmal über einen gewissen Dr. Velikovsky, der gleichfalls hier lebte und dem vom wissenschaftlichen Establishment Unrecht geschehen war. Ich hörte Stecchini ohne Begeisterung zu, denn die Annalen der wissenschaftlichen Veröffentlichungen sind, wie die Politik, voller Fälle, die falsch oder ungeschickt vertreten werden, voller hoffnungsloser Theorien, die die Aufmerksamkeit der Offentlichkeit auf sich lenken wollen, voll des Gefühls, verfolgt zu werden. Dann, eines Abends, als ich mich von meinem Bruder in seinem Haus verabschiedete, entdeckte ich bei ihm ein Buch mit dem Titel Ödipus und Echnaton von einem gewissen Immanuel Velikovsky. Nach allem, was ich über ihn gehört hatte, erregte das Buch meine Neugier. Ich lieh es mir aus. Ich las es in einem Zug von der ersten bis zur letzten Zeile. Ich hielt es für ein Meisterwerk echter Detektivliteratur (ein Urteil, das meiner Meinung nach jetzt bestätigt ist) und rief Dr. Stecchini an, um mich mit ihm zu verabreden.

Im Lauf des Gesprächs mit Dr. Velikovsky - ein beeindruckendes Erlebnis - zeigte er mir sein Archiv, das Unterlagen über den Fall enthielt. Es war erstaunlich reichhaltig und geordnet. Wir trafen uns mehrere Male, und ich las lange in seinen Unterlagen. Da kam ich zu dem Schluß, es gebe in der Geschichte der Wissenschaft nur wenige Fälle, die so gut dokumentiert sind, falls es überhaupt welche gibt. Ich entschloß mich, der »Velikovsky-Affäre« ein Sonderheft des American Behavioral Scientist zu widmen.

Es war dieses Heft - es erschien schließlich im September 1963 nach langen, zermürbenden, aber fruchtbaren Sitzungen mit Dr. Velikovsky und meinen Mitautoren Ralph Jürgens und Livio Stecchini - zusammen mit den vielen in Velikovskys Archiv verbrachten Stunden, welche die Grundlage für das vorliegende Buch bildeten. Ich möchte nicht so weit gehen wie einige Kommentatoren und sagen, das Buch habe die große Kontroverse heraufbeschworen, als die Sache verloren schien; meine Geschichtsauffassung ist eher tolstoiisch. Und doch ließ die Reaktion auf das Heft nicht lange auf sich warten. Eric Larrabee, ein Publizist, der schon seit längerem einen Vertrag mit dem Verlag Doubleday Company für ein Buch zu diesem Thema hatte, wurde dazu angeregt, für Harper's Magazine einen Artikel über den Fall Velikovsky zu schreiben. Das Heft des American Behavioral Scientist wurde um neue Beiträge von Juergens und Stecchini erweitert, und University Books brachte es zwei Jahre später als Buch heraus. (In der vorliegenden Ausgabe hat Dr. Stecchini viel neues Material durchgesehen und in seinen Beiträgen verarbeitet.)

Mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen, die noch zur Sprache kommen sollen, wurde das Buch gut aufgenommen. Übelgenommen wurde es von vielen im wissenschaftlichen Untergrund, wo auch das geheimnisvolle Reich der Stiftungen und Regierungsstellen zu Hause ist. Dort wird jedwede Verbindung zu Dr. Velikovsky Diskriminierung und Repressalien nach sich ziehen. Aber der Ruf der Leser, die meinen Entschluß zur Veröffentlichung des Materials gebilligt haben, stellte zweifellos ein gewaltiges Hindernis für öffentliche Angriffe dar. Angesichts des gebotenen Beweismaterials kann man den zwei Hauptgedanken des Buchs nicht mehr so leicht widersprechen: Dr. Velikovsky ist Unrecht widerfahren, und er hat eine Reihe von Behauptungen aufgestellt, mit denen sich die Natur- und Geisteswissenschaften ernsthaft auseinandersetzen müssen. Die Lektüre des Buchs bringt einen logischerweise dazu, viele Wissenschaftler zu verärgern, die man in Hörsälen, auf Fachtagungen und auf Cocktailpartys trifft.

Als im Jahr 1962 meine Aufmerksamkeit sich zum erstenmal auf die soziologischen und legalistischen Aspekte der Velikovsky-Affäre richtete, war mein Interesse an den realen Problemen der Katastrophentheorie und des Aktualismus oder des Revolutionismus und Evolutionismus das eines faszinierten Beobachters. Doch nicht lange danach ließ mich eine Frage nicht mehr los: »Gab es in der in undurchdringlichem Dickicht begrabenen Geschichte des katastrophischen Denkens nur Irreführung und Torheit oder schlummerte in ihm auch ein kosmogonisches Alternativmodell?« Ich gehe nun schon seit einem Jahrzehnt dem Wesen dessen nach, was ich in Ermangelung eines besseren Ausdrucks manchmal als »Holozänkosmogonie« bezeichne, manchmal als »revolutionäre Urzeitlehre«, und ich bin geistig weit mehr auf die Methode Dr. Velikovskys festgelegt, als ich es war, als dieses Material zum erstenmal veröffentlicht wurde.

Ermuntert durch andere, die den gleichen Weg beschritten, habe ich ein hohes Maß an Vertrauen in eine zweiteilige reziproke Antwort gewonnen: Es gibt kein »Faktum« in dem schnellen Wachstum auf den verschiedensten Gebieten der heutigen Wissenschaft, das »wahr« genug wäre, ein komplettes kosmogonisches Modell zu blockieren, das im Widerspruch zum Aktualismus steht; es gibt genügend »Fakten«, um ein revolutionistisches Modell zu konstruieren.

Dutzende entsprechender Vorkommnisse haben über die Jahre meine Einstellung zur wissenschaftlichen Methode Velikovskys bestimmt. Unlängst erhielt ich, wenn auch indirekt und nicht expressis verbis, einen der deutlichsten Beweise dafür, wie wichtig das vorliegende Buch ist. Vor kurzem erschien eine Neuausgabe der Encyclopaedia Britannica. Sie enthält einen biographischen Artikel über Velikovsky, den ich, im großen Rahmen der Encyclopaedia, akzeptabel fand. Jedoch ungefähr zwei Jahre später fühlte sich Lawrence K. Lustig, der verantwortliche Herausgeber der Book-of-the-Year-Reihe der Encyclopaedia, bemüßigt, in einem der Jahrbücher einen Artikel zu schreiben, der im Rahmen eines Generalangriffs auf die Pseudowissenschaft eine orthodoxe, negative Aussage über Velikovsky enthielt. In einem Brief an Dr. Lustig widersprach ich seiner Einstellung; in seiner Antwort wich er auch nicht einen Fingerbreit von seinem Standpunkt ab.

Doch am selben Tag, an dem von Sphere Books der Vorschlag kam, dieses Buch zu veröffentlichen, erreichte mich auch ein Anschreiben von Dr. Lustig, jetzt Chefredakteur einer großen, neuen Enzyklopädie, die in Princeton, New Jersey, vorbereitet wird. Er bat mich, für die Enzyklopädie die Artikel über »Freiheit«, »Religionsfreiheit« und »Redefreiheit« zu schreiben. Wenn man diese Geschichte als Kompliment für die Integrität des vorliegenden Werkes auffassen kann, dann kann sie auch ermutigend wirken auf all die Wissenschaftler, ob jung oder alt, die befürchten, daß ein Eintreten für die philosophischen Prinzipien dieses Buches sie um die Früchte ihrer langen und mühevollen Studien und, ihre Karriere bringen würde.

Professor William Mullen und ich haben unabhängig voneinander Artikel veröffentlicht, in denen wir im voraus aufgezählt haben, welche Auswirkungen die Ideen Velikovskys auf die verschiedenen Fachrichtungen haben könnten [3]. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie der angehende Wissenschaftler und der, der nicht in orthodoxem Denken erstarrt ist, die Ideen Velikovskys ausbeuten kann. Für den Vorsichtigen, der Kontroversen aus dem Weg gehen will und der Angst hat, sich lächerlich zu machen, wird es verhältnismäßig einfach sein, jetzt, da viele Schranken gefallen sind, revolutionäre Hypothesen auf wissenschaftlichen Gebieten einzuführen, wo die bestehende Ordnung evolutionär ist, vorausgesetzt, man vermeidet es, die Werke Velikovskys und seiner Schule zu zitieren. Man kann zum Beispiel ohne Erwähnung Velikovskys von einem revolutionären Sinneswandel des Homo sapiens sprechen, und man erntet dafür noch Applaus, wie Jaynes im letzten Jahr [4]. Man kann, wie Worzel, die durch Katastrophen auf dem Meeresgrund abgelagerten Aschenschichten mit einem winzig kleinen Schlupfloch für »das glühende Ende von Körpern kosmischen Ursprungs« diskutieren [5]. Man muß auch nicht Isaacson [6] zitieren, wenn man sich von dem jahrhundertealten Begriff des griechischen »Dunklen Zeitalters« trennt, vor allem, weil es diesen Isaacson gar nicht gibt, es handelt sich um das Pseudonym eines jungen Wissenschaftlers, der um seine Karriere bangt; im neuen Denkklima könnte man diesen Begriff kritisieren, ohne Velikovsky zu erwähnen.

Ein Wissenschaftler kann auf Nummer Sicher gehen, indem er noch mehr Beweise bringt für Hunderte von Hypothesen in den Schriften Velikovskys, die bereits klar formuliert und durch Beweise erhärtet sind, und er kann dies tun, ohne seinen Namen zu nennen, und er darf mit der Nachsicht von Autoritäten rechnen, die gewöhnlich auf sorgfältige Quellenangaben großen Wert legen. Wissenschaftler können jetzt sozusagen dem berauschenden Trunk revolutionärer Theorien zusprechen, vorausgesetzt, sie nennen ihr Gebräu Medizin, denn schließlich drückt die Obrigkeit ein Auge zu, wenn sie nicht schon selbst dem Rausch verfallen ist. Man denke an den Chemiker und Geologen Harold Urey, Nobelpreisträger, der gelegentlich die Anhänger Velikovskys rügte, obwohl er selber darüber spekuliert hat, es könnten wandernde Himmelskörper gewesen sein, die die Perioden in der Geomorphologie und in der Paläontologie [7] beendet haben (genauso wie die Alten sagten, die Perioden würden durch die Geburt und den Tod planetarischer Götter begonnen und beendet).

Natürlich kann man auch nach dem Motto »Ehre, wem Ehre gebührt« verfahren. Ein Wissenschaftler kann ganz offen seine Quellen nennen, in der Hoffnung, das Gericht für Verbrecher seines Schlages werde bald so überfüllt sein, daß er keine Angst zu haben braucht, daß ihm in absehbarer Zeit der Prozeß gemacht werde, und im Vertrauen darauf, daß die schnell wechselnden Anschauungen aus seinem Verbrechen ein korrektes Verhalten gemacht haben, bevor dieser Zeitpunkt kommt.

Wann wird dieser große Tag kommen? 1973, ein Jahrzehnt nach dem ersten Erscheinen von Immanuel Velikovsky: Die Theorie der kosmischen Katastrophen, jubelte seine Gruppe über die Nachricht, die American Association for the Advancement of Science werde ein Symposion über sein Werk abhalten. Am 25. Februar 1974 fand dieses Symposion vor der größten Zuhörerschaft statt, die eine Tagung der größten amerikanischen wissenschaftlichen Gesellschaft jemals gehabt hat. Ein vollständiger Bericht über alles, was dem Symposion vorausgegangen ist, über seinen Verlauf und über seine Nachwirkungen wäre eine lohnende Aufgabe für einen Soziologen; er muß erst noch geschrieben werden. Die beiden Werke jedoch, die zu Beginn dieses Aufsatzes erwähnt wurden, sind bereits erschienen, das eine strikt gegen Velikovsky, das andere ebenso strikt für ihn. Beide bezogen sich hauptsächlich auf die konkreten Theorien über Venus und Mars, die in Welten im Zusammenstoß aufgestellt worden sind. [8]

Ohne eine Vielzahl von Beweisen erscheint es mir hier nicht angebracht, ein Urteil über die komplizierten Auseinandersetzungen zu fällen. Ich möchte sogar behaupten, daß der Leser dieses Buchs wenig Überraschungen erleben wird, wenn er zufällig einmal die ganze Geschichte hört. Alle Beteiligten einschließlich der Gruppen - American Association for the Advancement of Science und Presse -, sowohl die für Velikovsky als auch die gegen ihn, agierten völlig artgemäß.

Ich sollte hinzufügen, daß sich das wissenschaftliche Establishment jetzt aufgeschlossener zeigt, als es darum ging, die Form zu wahren und eine korrekte Haltung in der öffentlichkeit einzunehmen - als ob die Herren das vorliegende Buch gelesen hätten und versuchten, sich entsprechend mitzuteilen. Die fünf Teilnehmer (ich beziehe den Leiter mit ein), die gegen den ganz auf sich allein gestellten Velikovsky agierten, waren sogar einigermaßen mit seinem Buch Welten im Zusammenstoß vertraut. Im Verlauf des Symposions befanden sich Verfechter des Establishments in einem Zustand der »Teilassimilation«; so hat Professor Harold Lasswell den Prozeß bezeichnet, durch den eine politische Revolution, wie die Französische oder Russische, zum Teil von ihren konservativen Gegnern als Abwehrmaßnahme akzeptiert wird.

Es gab hier wirklich eine interessante Entwicklung. Unter den Teilnehmern war wenig Herzlichkeit zu spüren. Und niemand zeigte sich glücklich über die Entdeckung neuer Bereiche wissenschaftlicher Forschung. Aber offensichtlich wurden Velikovskys Kritiker gezwungen, wenn sie es auch nicht zugeben wollten, auf seinem Terrain ins Feld zu ziehen. Die gesamte Wissenschaft kann davon nur profitieren. Denn private Konkurrenz kann, wie Adam Smith schon vor langer Zeit beschrieben hat, zu einem Gewinn für die öffentlichkeit führen. Velikovsky hat den wissenschaftlichen Marktplatz, J. S. Mills Marktplatz der Gedanken, dadurch erweitert, daß er ein neues Produkt einführte. Deshalb begegnen wir den ersten zögernden Schritten der Naturwissenschaftler, sich mit Dingen, die in die Geisteswissenschaft gehören, wie Sagen, Mythen, Psychologie, Archäologie und Geschichte, zu befassen.

Wissenschaftler können nicht mehr nur Spezialisten sein und darauf hoffen, länger als nur einen Augenblick auf diesem Markt mit seinen veränderten Gegebenheiten zu handeln. Ich erinnere mich an die Wochen intensiver Studien, die Velikovsky damit verbrachte, verschiedene chemische Probleme zu meistern, um in einem Artikel dem Chemieprofessor Albert Burgstahler antworten zu können. Folglich sollten wir hinzufügen, daß das gleiche auch für die Geisteswissenschaftler gilt - die Graves, Schliemanns, Freuds, Jungs, Campbells und Elffades: Sie müssen sich mit Ozeanographie, Geophysik und der Dynamik der Himmelskörper beschäftigen.

Auch würde ich vorschlagen, und zwar lediglich als »Lahmer, der die Blinden führt«, daß sich Natur- und Geisteswissenschaftler auf die philosophischen Grundlagen der Wissenschaft und des Humanismus besinnen, auf denen die einzelnen Disziplinen aufgebaut sind; nachdem sie Plato, Hegel, Dewey, Bridgman und andere gelesen, sich kritisch mit ihnen auseinandergesetzt und begriffen haben, daß Galilei, Newton, Darwin, Marx, Engels, Nietzsche, Freud, Einstein und andere aus einer kritischen Haltung heraus eigene Wege beschritten, können sie neue Grundlagen legen und neue Strukturen errichten. Die Geschichte der Wissenschaft und die Naturgeschichte setzen sich aus psychosozial empirischen Problemen zusammen, die unentwirrbar miteinander verflochten sind, und die nur von einer Wissenschaft bewältigt werden können, die flexibel ist, also nicht von Natur- oder Geisteswissenschaft allein. Wenn nur einige wenige Personen ein so großes und dabei gleichzeitig fundiertes Wissen erreichen können, ist dann nicht ein solches Wissen ein Hauptziel für das vielgerühmte »Gemeinschaftsunternehmen« Wissenschaft?


Es ist nun keineswegs so, daß die liberalen Ansichten nur dazu beitragen werden, das Werk Velikovskys zu verstehen und es zu unterstützen; man braucht sie auch für gegnerische Kritik. Ich verweise nicht auf seine Art und seinen Stil als lohnende Ziele. Seine Schriften sind stark dogmatisch. Er ergeht sich nicht in den höflichen und ausweichenden Redensarten wie die meisten Sozial- und Geisteswissenschaftler. Er kann die Mathematik nicht richtig einsetzen, weil seine Variablen nicht genau definiert und seine Daten nicht nachmeßbar sind. Er hat zugegeben, daß er mit Hypothesen arbeitet - aber welcher empirische Wissenschaftler tut das nicht?

Ich bin der Meinung, daß, sollte einer vernünftig und staunend fragen: »Gibt es denn nirgendwo eine ernst zu nehmende Anti-Velikovsky-Abhandlung?«, die Antwort bedauerlicherweise immer noch »nein« ist, nicht im allgemeinen und noch nicht einmal in einer Spezialdisziplin wie Astrophysik oder Archäologie. Tausende von Natur- und Geisteswissenschaftlern haben sein Werk angezweifelt. Einige sind schon gegen ihn oder einen seiner Anhänger in den Ring gestiegen; sie werfen sich in die Brust; sie tänzeln herum; sie haben sich nicht gründlich auf den Kampf vorbereitet; ihre Schläge treffen nicht; sie gehen auf die Bretter und werden ausgezählt. Und hinterher erzählen sie, es sei ein ungleicher Kampf gewesen.

In zwei Fällen sind größere wissenschaftliche Arbeiten gegen Velikovsky gerichtet gewesen. Das schon erwähnte Buch der Cornell Press wurde schnell vom Kronos-Sonderheft zerpflückt. Der zweite Angriff wurde indirekt gegen Velikovsky vorgetragen; darin wird er nicht einmal namentlich erwähnt; es war Hamlet's Mill von G. de Santillana und H. von Dechand [9]. Das Buch konzentrierte sich auf die Mythologie und das früheste naturwissenschaftliche Wissen; sein Aufbau ist nicht klar; aber sein Wert liegt vor allem darin, daß es in der Tat zeigt, daß die vorgeschichtliche Menschheit sehr wohl wissenschaftlich zu denken imstande war, und daß die Mythologie überall ihren Ursprung im Verhalten der Planeten hat. Beide Bücher erhielten beträchtliche Unterstützung. Beide werden jetzt von den Revolutionären ausgeschlachtet, denen es an Quellen fehlt und die sich ganz gut darauf umgestellt haben, von dem Beweismaterial und der Kritik zu leben, die ihre Gegner vorgebracht haben.

Ende 1977 schrieb eine Wissenschaftshistorikerin, A. M. Paterson [10] :

Eigentlich ist die Schlacht geschlagen. Dr. Velikovsky ging als Sieger aus ihr hervor, weil sich seine wissenschaftliche Hypothese, wonach sich in historischer Zeit im planetarischen Raum Naturkatastrophen ereignet haben, als ungeheuer prophetisch erwiesen hat.

Aus einer Vielzahl von Beispielen können wir nur ein paar nennen: Radiostrahlung vom Jupiter, starke elektrische Ladungen auf dem Jupiter (1953); ausgedehnte Magnetosphäre der Erde (1956); ein ausgedehntes Magnetfeld im Sonnensystem, das sich bis zum Pluto erstreckt (1946); die Sonne trägt eine elektrische Ladung (1950); die Venus ist sehr heiß, hat eine schwere Atmosphäre und wurde in ihrer Rotation gestört, es kann sein, daß sie anomal rotiert (1950); die Atmosphäre des Mars enthält Argon und Neon (1945); der Mars ist mondähnlich, ist von Kratern übersät und ist geologisch aktiv (1950); es ist schon öfter zu Umkehrungen der magnetischen Pole der Erde gekommen (1950); ein Teil des Erdöls hat sich erst vor einigen Jahrtausenden abgelagert (1950).

Und Folgerungen über den Mond, die sich als richtig erwiesen haben: Man wird auf ihm Kohlenwasserstoffe, Karbide und Karbonate finden (2. und 21. Juli, 1969); starker remanenter Magnetismus im Gestein (19. Mai 1969); radioaktive Nester (14. März 1967); große Mengen Argon und Neon im Verwitterungsboden (was zu falschen Altersschätzungen führt) (23. Juli 1969); starker Temperaturgradient unter der Oberfläche (2. Juli 1969).

Möglicherweise würde Frau Professor Paterson ohne Zögern einräumen, ihr erster Satz sei die Hyperbel einer Enthusiastin gewesen. Wie sie an anderer Stelle ausführt, kann es in der Wissenschaft gelegentlich 300 Jahre dauern, bis die Gelehrten über eine strittige Frage einig sind.

Weiterhin müssen wir gegen die Möglichkeit eines von der sinnlosen und wahnsinnigen Politik unseres Zeitalters ausgelösten Atomkriegs angehen, was den Krieg der Naturwissenschaftler im voraus entscheiden würde. Dr. Velikovsky ist sich schon lange der Bedrohung durch Atomraketen vollkommen bewußt. Als er 1974 von der Universität Lethbridge, Kanada, zum Ehrendoktor der Philosophie promoviert wurde, äußerte er die Vermutung, die Bedrohung der ganzen Menschheit könne auf die Unterdrückung der Erinnerung an frühere Katastrophen und auf den unbewußten, typisch neurotischen Drang der Machthaber, die schrecklichen Szenen vergangener Zeiten zu wiederholen, zurückgehen [11].

Wir müssen jedoch hier unterstellen, daß es nicht zu einer solchen Katastrophe kommt. So kann es also sein, wenn auch nur, weil die Welt von heute, im Gegensatz zu der von gestern, Streitfragen schnell klärt, daß es in absehbarer Zeit zu einer Ehrenrettung der Velikovskyschen Theorien und damit zu einer größeren Verschiebung im wissenschaftlichen Denkmodell kommt. Die Herausforderung der revolutionären an die evolutionären Ansichten ist klar ausgeprägt, ganz gleich, welche Synthese sich am Ende daraus entwickelt. Wenn sie auch noch keinem der beiden Weltmodelle angeglichen sind, so gibt es jetzt doch Hunderte von Studien über die Katastrophentheorie, die von Anhängern des Aktualismus geschrieben sind, die sich scheuen, die logischen Schlüsse daraus zu ziehen. Wenn also die philosophischen und ideologischen Barrieren gefallen sind und ein Bogen revolutionärer Theorien über der geräumten Fahrbahn errichtet ist, wird es eine große Zahl von empirischen Studien geben. Es ist also möglich, daß der Wechsel von einem Modell des Holozäns und der Frühgeschichte der Menschheit zum anderen Modell nicht lange auf sich warten läßt.


ALFRED DE GRAZIA
3. Januar 1978


Anmerkungen

1 Isaac Asimov et al.: Scientists Confront Velikovsky (Ithaka, N. Y.: Cornell University Press, 1977).

2 Velikovsky and Establishment Science, Bd. III, Nr. 2 (1977). Kronos (Glassboro State College, Glassboro, N. J., USA) und The Society for Interdisciplinary Studies, die die SIS Review herausgibt (c/o T. B. Moore, Central Library, Hartlepool, Cleveland, England), bringen fortlaufend Informationen über die Immanuel Velikovsky umgebenden Kontroversen und veröffentlichen Artikel von ihm und ihm verbundenen Gelehrten.

3 Mullen: »The Center Holds«, in Velikovsky Reconsidered, von den Herausgebern von Pensee (Abacus, 1978), S. 239-49; A. de Grazia, »The Coming Cosmic Debate in the Sciences and Humanities«, in: Nahum Ravel (Hrsg.). From Past to Prophesy: Velikovsky's Challenge to Conventional Beliefs, Verlauf des vom 10. bis 12. Januar 1975 im Saidye Bronfman Centre, Montreal, Quebec, Kanada, veranstalteten Symposions.

4 Julian Jaynes: The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bicameral Mind (Boston: Houghton Mifflin, 1977).

5 J. L. Worzel: »Extensive Deep Sea Sub-Bottom Reflections Identified as White Ash«, Proc. Nat. Acad. Sci., 43: 349-5 5 , 15 . März 1959, 3 5 5; B. Heezen, Ewing und Ericson, »Significance of the Worzel Deep Sea Ash«, ibid., 355-61.

6 Israel Isaacson: »Applying the Revised Chronology«, Pensee, IV: 5-20 (1974).

7 »Cometary Collisions and Geological Periods«, Nature 242: 32 (2. März 1973).

8 Es mutet schon komisch an, daß ausgerechnet der Science-fiction-Autor und populärwissenschaftliche Schriftsteller Isaac Asimov dazu verwendet wurde, sehr viel später das Vorwort zum Buch der »seriösen« Naturwissenschaftler und der »gemeinnützigen« Cornell University Press zu schreiben. Zusätzlich wurde ein Aufsatz von Professor Donald Morrison abgedruckt, der schon vorher der Gegenstand hitziger Auseinandersetzungen mit Mitarbeitern Velikovskys gewesen war.

Vgl. R. E. Juergens: »On Morrison«, in: Kronos, IOC. cit., 113.

9 Boston: Gambit, 1969.

10 »Velikovsky versus Academic Lag«, in: Velikovsky and Establishment Science, op. cit., S. 121-31, S. 126.


11 »Cultural Amnesia«, in: Earl Milton (Hrsg.), Recollections of a Fallen Sky (Lethbridge, Kanada: Lethbridge U. Press, 1978).




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